„Über Nacht zum Barista“

Von der weltweiten Pandemie bis zur Krise in der Lieferkette – die vergangenen Jahre waren für viele Branchen turbulent. Die Konsumgüterindustrie stellt da keine Ausnahme dar. Wlady Martino, B&R-Experte für Verpackung und adaptive Fertigung, erzählt im Interview, wie Unternehmen, die im Bereich von Consumer Packaged Goods (CPG) tätig sind, sowie deren Maschinenbauer mit der Unsicherheit des Marktes und dem sich ändernden Verbraucherverhalten umgehen.

Vor welchen großen Herausforderungen stehen CPG-Unternehmen?

Wlady Martino: Um zu verstehen, wie sich die Bedürfnisse in diesem Bereich verändert haben, müssen wir uns nur anschauen, wie sich unser eigenes Verhalten als Konsumenten verändert hat. Wir haben weniger Zeit in Cafés und Fitnessstudios verbracht und mehr Zeit in unseren Küchen und Wohnzimmern. Wir haben mit neuen Marken experimentiert und viele von uns haben zum ersten Mal ihre Lebensmittel online bestellt.

In einer Welt nach der Pandemie werden einige dieser Veränderungen von Dauer sein. Wir haben uns daran gewöhnt, Produkte online zu bestellen. Arbeitgeber haben die Vorteile des hybriden Arbeitens entdeckt. Unser Zuhause ist nicht nur zusätzlich zum Büro geworden – es ist ein Ort, an dem gelernt, eingekauft, gespielt und trainiert wird.

Wie reagieren CPG-Unternehmen darauf?

Martino: Um den Menschen dabei zu helfen, das Erlebnis von Büros, Spas, Fitnessstudios und Restaurants in die eigenen vier Wände zu holen, überdenken Hersteller von Konsumgütern ihre Geschäftsmodelle. Dabei setzen sie auf Direct-to-Consumer-Marketing (D2C) und Omnichannel-Strategien.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?

Martino: Vor ein paar Monaten sprach ich mit einem großen US-amerikanischen Kunden aus der Lebensmittel- und Getränkeindustrie. Für ihn bedeutete die Pandemie einen plötzlichen Rückgang der Nachfrage nach Produkten für den Konsum außer Haus. Gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Alternativen für den Hausgebrauch. Viele Cafés und Bäckereien waren geschlossen. Jeder, der das Erlebnis eines Coffeeshops in seiner eigenen Küche nachstellen wollte, wurde plötzlich zum Barista.

Die neue Produktlinie des Kunden war ein großer Erfolg. Die Umstellung hätte aber viel schneller und problemloser erfolgen können. Wie viele andere war auch dieses Unternehmen nicht auf den raschen Wandel vorbereitet. E-Commerce war zwar kein neues Thema, doch mit einer Verdoppelung der Nachfrage innerhalb weniger Monate hatte niemand gerechnet.

Was genau war das Problem?

Martino: CPG-Unternehmen mussten sich von großen Chargen und Großhandelspackungen auf kleine Chargen und einzeln verpackte Artikel sowie auf personalisierte Produktmischungen umstellen. Ob als Reaktion auf die Pandemie oder als Versuch, das Umpacken wieder ins Haus zu holen, um die Gewinnspannen zu verbessern – alles läuft auf eine rasche Umrüstung hinaus. Unterschiedliche Produkte und Verpackungen müssen auf ein und derselben Fertigungsanlage produziert werden. Das betrifft sowohl das Format und die Materialien als auch die Etikettierung und die Gruppierung.

Und häufige Umrüstungen bedeuten...

Martino: ...kleinere Chargen. Bei Chargen von 300.000 oder 400.000 Stück ist es keine große Sache, die gesamte Anlage eine Stunde für die Reinigung und Umrüstung zum Stillstand zu bringen. Anders sieht es aus, wenn Sie im Durchschnitt 3.000 oder 4.000 Stück produzieren. In diesem Fall bedeutet eine Stunde Produktivität gleichzeitig eine Stunde Ausfallzeit. Die Verbraucher sind heute besonders preissensibel, ebenso lassen knappe Gewinnspannen diese Art von Ineffizienz nicht zu.

Was bedeutet das für Maschinenbauer?

Während einige globale CPG-Unternehmen den Wandel bereits vollzogen haben, suchen viele andere noch nach Lösungen. Für sie ist es eine große Herausforderung, flexibler zu werden und gleichzeitig eine hohe Gesamtanlageneffektivität (OEE) zu erzielen. Maschinenhersteller bauen Anlagen, um diese Herausforderung zu meistern. Sie spielen eine zentrale Rolle in diesem Prozess.

Wie kann B&R helfen, diese Herausforderung zu lösen?

Martino: Das B&R-Ökosystem bietet ein einzigartiges, umfassendes Spektrum an modernster Automatisierungstechnologie. Dazu zählen Bildverarbeitung, Robotik, Simulation mit digitalen Zwillingen und mechatronischer Produkttransport. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen über das Wissen und die Erfahrung, um diese Technologien perfekt zu kombinieren. So ergeben sich Fertigungssysteme, die sich an unvorhersehbare Veränderungen anpassen können – ohne an Produktivität zu verlieren. Diese Art der Fertigung heißt adaptive Fertigung. Sie ist der Schlüssel für CPG-Hersteller, um ihre neuen D2C- und Omnichannel-Strategien umzusetzen.

„Immer mehr CPG-Unternehmen richten eine eigene Linie für den E-Commerce ein“, sagt Wlady Martino.

Werden dafür neue Linien benötigt?

Martino: Nicht immer. Wir prüfen jedes Projekt gemeinsam mit dem Kunden, um eine hohe Investitionssicherheit zu gewährleisten. In einigen Fällen erreichen Kunden die benötigte Flexibilität, indem sie ein mechanisches System durch eine mechatronische Lösung ersetzen. So können sie Umrüstungen schneller durchführen. Einer unserer Kunden hat einen Hubbalken seines Beutelfüllers durch ein Track-System ersetzt. Beutelformate können so im Handumdrehen geändert werden.

Und in anderen Fällen?

Martino: Es gibt Unternehmen, die häufig umrüsten, viele Produkte personalisieren und auf zukünftige Produkte vorbereitet sein müssen. In diesen Fällen ist eine vollständig adaptive Fertigungslösung die einzige Lösung. In der CPG-Branche gibt es immer mehr Unternehmen, die neben ihren bestehenden Linien eine eigene Linie für E-Commerce-Bestellungen einrichten. So können sie für ein bestimmtes Produkt je nach erforderlicher Losgröße die eine oder die andere Linie verwenden. Gleichzeitig können sie das gesamte Potenzial der adaptiven Fertigung ausschöpfen.

Wie sieht das in der Praxis aus?

Martino: Im Körperpflegesektor erzielen einige globale Hersteller bis zu 30 Prozent ihres Umsatzes über den elektronischen Handel. Wir haben einen Kunden in Polen, der Abfüllanlagen für hochviskose Produkte herstellt. Durch die enorme Anzahl an verschiedenen Flaschen- und Verschlusskombinationen wurde das häufige Umrüsten zum Problem.

Also wurde der gesamte Ansatz neu überdacht: Anstelle von drei separaten Systemen für das Abfüllen, Verschließen und Etikettieren haben wir die gesamte Anlage um ein durchgängiges mechatronisches System herum konzipiert – den ACOPOStrak. Anstelle von Produkthaltern werden die Flaschen zwischen zwei Shuttles geklemmt. Diese können ihren Abstand im laufenden Betrieb anpassen.

Mit dem ACOPOStrak lassen sich Produktformate, Verpackungsmaterialien, Etiketten und Gruppierungen rasch ändern.

Was sind die Vorteile?

Martino: Beim Umrüsten entstehen keine Stillstandszeiten mehr. Das erhöht die Verfügbarkeit einer Anlage. So auch, wenn Produkte zwischen Anlagen übergeben werden. Das schafft Potenzial für zusätzliche Gewinne. Das bedeutet, dass es keine Ein- und Ausschleusungen mehr gibt. Jedes Produkt kann vollständig überwacht und individuell durch die Bearbeitungsstationen bewegt werden. Dabei kommt ein intelligentes Vision-System in Kombination mit einer Robotikanwendung zum Einsatz.

Ein weiterer Vorteil ist, dass sich die Anlage schnell und einfach für die Bedürfnisse verschiedener Kunden konfigurieren lässt. Neue Produkte können so schneller auf den Markt gebracht werden. Kunden von Maschinenherstellern profitieren davon, innerhalb weniger Minuten umrüsten zu können – in einigen Fällen sogar auf Knopfdruck. Um diese Vorteile zu nutzen, sind keine speziell qualifizierten Ingenieure oder Techniker erforderlich. Die Anlage kann problemlos von demselben Bediener betrieben werden, der zuvor herkömmliche Abfüllanlagen bedient hat.

Danke für das Gespräch!

Wlady Martino

Global Segment Manager - Packaging


"More and more CPG companies are adding a dedicated line for e-commerce."
Let's talk about what it means to #ThinkAdaptive

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