Große Echtzeitnetzwerke in Produktionsanlagen stellen Maschinen- und Anlagenbetreiber vor große Herausforderungen. Mit wachsender Knotenzahl wird das Engineering der Netzwerke komplexer, aufwendiger und teurer. Zudem müssen häufig unterschiedliche Netzwerkprotokolle über Schnittstellen miteinander verbunden werden. Die Erweiterung des Ethernet-Standards um Time-Sensitive Networking (TSN) und die Kombination mit OPC UA soll Abhilfe verschaffen. In mehreren Testbeds wird derzeit die Implementierung von OPC UA TSN getestet.

Seit rund 15 Jahren sorgen mehrere proprietäre Industrial-Ethernet-Protokolle dafür, dass Daten in der Produktion zuverlässig und schnell genug übertragen werden. Die Betreiber von Maschinen und Anlagen sind häufig damit konfrontiert, unterschiedliche inkompatible Protokolle über Schnittstellen zu einem Gesamtnetzwerk zusammenzuschließen. „Das ist immens aufwendig, kostet Zeit und viel Geld“, sagt Sebastian Sachse, Technology Manager Open Automation bei B&R. „Viel einfacher wäre es, wenn alle Maschinen die gleiche Sprache sprechen.“

Nicht nur die unterschiedlichen Protokolle bereiten Schwierigkeiten, auch die zunehmende Zahl an Netzwerkteilnehmern stellt das produzierende Gewerbe vor Probleme. Die Konfiguration großer Echtzeit-Netzwerke ist aufwendig. Das Engineering kommt schnell an seine Grenzen. Im Zuge der Umsetzung des Industrial Internet of Things (IIoT) werden Netzwerke mit mehreren hundert Knoten auf Feldebene jedoch immer häufiger.

Das Industrial Internet Consortium

Damit die Umsetzung des IoT möglich wird, haben die fünf Unternehmen AT&T, Cisco, General Electric, Intel und IBM im März 2014 das Industrial Internet Consortium (IIC) gegründet. Zu den Zielen der Nonprofit-Organisation gehört es, Referenzarchitekturen und Frameworks zu definieren, die für die Interoperabilität notwendig sind.

Einer der Themenbereiche, mit denen sich das IIC beschäftigt, ist das Industrial Internet of Things. Weitere Bereiche sind zum Beispiel das Gesundheitswesen, Transportsysteme und Finanzen. Das IIC entwickelt selbst keine Standards, es kooperiert mit Standardisierungs-Organisationen wie IEEE, IETF, AVNU Alliance und OPC Foundation.

Zahlreiche Unternehmen haben sich zusammengeschlossen, um die Entwicklung von OPC UA TSN voranzutreiben.

Das TSN-Testbed

„Was das Industrial IoT betrifft, ist besonders eine Aktivität der IIC interessant: das TSN-Testbed“, erklärt Sachse. „Wir brauchen eine Technologie, die die modulare und flexible Vernetzung von Maschinen- und Anlagen einfach handhabbar macht. Am Markt herrscht große Einigkeit darüber, dass diese Technologie OPC UA TSN sein wird.“ Während OPC UA von der OPC Foundation weiterentwickelt wird, bringt sich die IIC stark bei der Implementierung von TSN ein.

B&R hat sehr früh das Potenzial von TSN für die Industrie erkannt und ist dem IIC beigetreten: „Das Konsortium war die erste Organisation, die angefangen hat, TSN anhand echter Anwendungsfälle zu testen“, erläutert Sachse diesen Schritt. Seitdem arbeitet der Automatisierungsspezialist im Rahmen des TSN-Testbeds bei der Entwicklung der Technologie mit und testet seine OPC-UA-TSN-Prototypen auf Interoperabilität zu denen der anderen Mitglieder. Im Mai 2017 gehörten dazu: B&R, Bosch Rexroth, Schneider Electric, National Instruments, Kuka, Sick, Cisco, Intel, Belden/Hirschmann, Hilscher, Renesas Electronics, Analog Devices, TTTech und Xilinx. Weitere teilnehmende Unternehmen sind: Calnex, Ixia, ISW-Stuttgart University und Phoenix Contact.

Sukzessive Tests der TSN-Kernfähigkeiten

TSN ist eine Erweiterung des Ethernet-Standards und bringt eine Vielzahl von Verbesserungen mit sich, die Ethernet echtzeitfähig machen werden. Die Basis bilden drei Kernfähigkeiten, die die Testbed-Mitglieder nacheinander testeten: die Zeitsynchronisation, das zeitlich exakt getaktete Versenden von Daten-Paketen und -Frames (Traffic Scheduling) und die zentralisierte, automatisierte Systemkonfiguration (System Configuration) mit einem sogenannten Central Network Configurator (CNC).

Grundvoraussetzung für den Einsatz von TSN in der industriellen Echtzeitkommunikation ist die Zeitsynchronisation nach 802.1AS-Rev. Dieser TSN-Unterstandard enthält Definitionen des Precision Time Protocols (PTP), das dafür sorgt, dass alle Geräte-Uhren im Netzwerk synchron sind. In den Testaufbauten wurde mit PTP eine Genauigkeit von weniger als 100 Nanosekunden erreicht. Das ist noch präziser, als ursprünglich gedacht.

Die zweite Kernfähigkeit von TSN, die bei Plugfests des Testbeds ebenfalls mit Erfolg getestet wurde, ist die gezielte Steuerung von Datenpaketen/Frames. Der TSN-Unterstandard dazu ist IEEE 802.1 Qbv. Ein sogenannter Time-Aware Scheduler sorgt dafür, dass zeitkritische Daten immer Vorfahrt haben und nicht durch allgemeinen Datenverkehr gebremst werden.

OPC UA TSN macht die modulare und flexible Vernetzung von Maschinen- und Anlagen einfach handhabbar.

Dynamische Konfiguration

Bei den ersten Plugfests wurde das Netzwerk statisch konfiguriert. Nun wird zusätzlich die dynamische Netzwerkkonfiguration getestet. Wenn ein neues Gerät ins Netzwerk kommt, meldet es sich beim zentralen Netzwerkkonfigurator an. Dieser baut die Kommunikationsbeziehung zu den anderen Geräten mit den entsprechenden Anforderungen auf und konfiguriert das Netz passend dazu um. Ziel dieser Tests ist es, zukünftig den Standard IEEE 802.1 Qcc im Gesamtsystem umzusetzen.

Die einzelnen Elemente von TSN spielen nicht nur in der Theorie, sondern auch in Praxisaufbauten hervorragend zusammen und ermöglichen Echtzeitkommunikation mit Standard-Ethernet-Komponenten. Das TSN-Testbed besteht derzeit aus zwei Aufbauten – ein Aufbau befindet sich bei National Instruments in Austin, Texas, und einer bei Bosch Rexroth in Erbach. Zudem hat der Verein Labs Network Industrie 4.0 (LNI 4.0) im April 2017 angekündigt, gemeinsam mit dem Mittelstand-4.0-Kompetenzzentrum Augsburg ein eigenes TSN-Testbed aufzubauen.

Angedacht ist ein Demonstrator, der in einen Lkw passen wird und somit mobil ist. Das IIC und LNI 4.0 verfolgen beide das Ziel der 100-prozentigen Interoperabilität – nur mit verschiedenen Herangehensweisen. Die Zusammenarbeit der beiden Initiativen ist bereits geplant. B&R bringt sich auch beim LNI-Testbed ein.

Plug-and-produce

„Das IIC-Testbed ist ein Beweis dafür, dass Innovationszyklen kürzer werden“, sagt Sachse. Die Vorbereitungen für das Testbed haben vor zwei Jahren begonnen und nun sind die ersten Kernfähigkeiten zur technologischen Reife getragen. „Für eine völlig neue Technologie ist das außergewöhnlich.“

Es zeichnet sich ein großer Wandel am Markt ab. Bisher haben Anbieter von Steuerungstechnik versucht, sich über ihre Kommunikationslösung zu differenzieren. „Das ist nun Geschichte“, sagt Sachse. OPC UA TSN als einheitlicher Standard wird die Kommunikation oberhalb der Steuerungsebene vollständig standardisieren.

Die Inbetriebnahme von Komponenten wird sich durch die gewonnene Interoperabilität massiv vereinfachen. Es muss nur noch das Netzwerkkabel eingesteckt werden und schon funktioniert die Kommunikation im ganzen Netzwerk. Sachse: „Das Zeitalter von Plug-and-produce ist gekommen.“

Sebastian Sachse

Technology Manager Open Automation bei B&R

“Was das Industrial IoT betrifft, ist besonders eine Aktivität der IIC interessant: Das TSN-Testbed. Wir brauchen eine Technologie, die die modulare und flexible Vernetzung von Maschinen- und Anlagen einfach handhabbar macht. Am Markt herrscht große Einigkeit darüber, dass diese Technologie OPC UA TSN sein wird.”

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